Donnerstag, 15. September 2011

Lügen und Geheimnisse – Claude Chabrols „Die Farbe der Lüge“

Gerade mal 32 Jahre* alt ist die Schauspielerin Sandrine Bonnaire alt. Sechzehn davon hat Frankreichs Star vor der Kamera verbracht– ein halbes Leben. Ohne Umwege über TV-Serien oder Filmchen ist das Mädchen mit dem traurigen Mund von der Pubertät direkt in die Besetzungskartei der Pariser Regie-Elite gerutscht. Hat Rächerinnen und Geliebte, Mörderinnen und Opfer, Obdachlose und Jeanne d'Arc gespielt; neben Marcello Mastroianni, Isabelle Huppert, Robert Duvall und Gérard Depardieu brilliert und mit William Hurt nicht nur gearbeitet, sondern auch Töchterchen Jeanne gezeugt.
Doch im Land der Catherine Deneuve, Sophie Marceau und Emmanuelle Béart blieb ihr immer nur der Part der bodenständigen Außenseiterin. Die Rollen mit der grellen Lache, dem direkten Sex oder dem entschlossenen Zugriff. Die Frauen, die ob ihres unerschütterlichen Glaubens immer am Rande der Gesellschaft fremdelten. Sitzt man aber Sandrine Bonnaire gegenüber, erweist sie sich als ebenso zierlich und zart wie ihre gallischen Schwestern. Es waren die Rollen, die sie beängstigend grob machten. Es war an der Zeit, das zu ändern.
Claude Chabrol hat das Kunststück vollbracht, aber damit leider kein Meisterwerk abgeliefert. „Die Farbe der Lüge“ versammelt zwar sein bewährtes Bestiarium größenwahnsinniger Entertainment-Profis und verschlagener Polizisten, gehässiger Nachbarn und perverser Zufallstäter. Doch im Mittelpunkt des Sittengemäldes steht keine Gesellschaftssatire, sondern ein romantisches Stück. „Kein Krimi, sondern eine Liebesgeschichte, die Geschichte eines Paares, in der die Frau akzeptiert, daß ihr Mann ein Krimineller ist“, sagt Bonnaire. „Sie nimmt es sogar hin, daß er sie anlügt.“
Es ist auch die Geschichte einer Frau, die nicht umsonst Viviane heißt – sie verkörpert das pure Leben (französisch: la vie). Ob bei ihrer Arbeit als Krankenschwester oder wenn sie ihrem körperlich wie emotional verkrüppelten Mann beisteht, den Garten pflegt oder mit anderen Männern flirtet. In einem Mikrokosmos aus Lügen und Geheimnissen, Kindsschändung und Rivalenmord steht Sandrine Bonnaire für das Prinzip Hoffnung. Für die ewige Außenseiterin des französischen Kinos bedeutet dieser Film die Chance, ihrem Klischee zu entkommen. Obwohl ihr klar ist: „Letztendlich entscheide nicht ich, welchen Rollen ich angeboten bekomme, sondern die Regisseure.“
 
*Dieser Artikel erschien zuerst 1999 in der „Hör Zu“.

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