Montag, 12. Januar 2009

Quote, Klüngel oder Inkompetenz: Anne Will und der Gaza-Krieg

Dafür, daß Anne Wills Talkrunde zum Gaza-Krieg gestern gar nicht stattfand, entwickelt sie einen sagenhaften Sog. Die sonst so wachsame „taz“ hängt das Thema angenehm tief und vermutet bloßen Quotendruck statt politischer Ranküne bei der Entscheidung, das Nahost-Thema kurzfristig durch eine Selbstmorddebatte zu ersetzen.

In den politischen Foren und Kettenbriefen wird aber unvermindert über vermeintlichen diplomatischen Druck fabuliert, wobei mir bis heute eindeutige Indizien dafür fehlen. Nun ist neben den bereits bekannten Sumaya Farhat-Naser, Joschka Fischer, Avi Primor und Daniel Barenboim auch Rupert Neudeck kurzfristig ausgeladen worden, der auf Franz Alts Sonnenseite (via Mediawatchblog) auch zum Prozedere einiges Erhellendes beiträgt:
„Ich sollte eigentlich am 11. Januar (Sonntag Abend) in der Anne Will-Talkshow sein. Ich war nicht nur eingeladen, mein Flug nach Johannesburg-Bulawayo (Zimbabwe) war schon auf Kosten der ARD um einen Tag verschoben. (...) Donnerstag, den 8. Januar hieß es Mittag 13 Uhr: April April. Es wurde alles abgesagt. Außer Spesen nichts gewesen.
Nun war die Sumaya Ferhat-Naser schon aus Palästina gejagt worden, was immer ein mindestens zwei Tage Unternehmen ist, weil sie ja nicht einfach über den Flughafen Tel Aviv herausfliegen kann. Sie muss die beschwerliche Reise über Jericho zur Allenby Bridge, dem Übergang zur jordanischen Seite und dann zum Flughafen in Amman unternehmen. Das dauert schon mal anderthalb Tage. Sumaya erfuhr es erst hier, dass sie sich diese Reise hätte sparen können. Eigentlich unverschämt.
Gott sei Dank hat sie am 12. Januar um 22.20 die Möglichkeit, in der Pause einer Live Übertragung bei 3sat eines Konzertes des West Eastern Divan Orchestra mit Barenboim etwas zu sagen zur Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit.


Währenddessen sammelte der Sozialwissenschaftler Mohssen Massarrat bis heute abend, 20 Uhr, Unterschriften für einen offenen Brief, der wohl in den nächsten Stunden veröffentlicht werden wird und im Entwurf wie folgt lautet:

„An den Chefredakteur der ARD, Herrn Thomas Baumann
und an Frau Anne Will

Sehr geehrter Herr Baumann,
sehr geehrte Frau Will,

wir haben mit Entrüstung davon Kenntnis erhalten, dass die ARD eine aktuelle Sendung der Talkshow 'Anne Will' zum Konflikt im Gazastreifen kurzfristig abgesetzt hat, die für Sonntag, den 11. Januar, vorgesehen war. Zu dieser Talkshow wurden nach unserer Kenntnis u. a. auch der israelische Dirigent Daniel Barenboim und die palästinensische Hochschullehrerin Frau Dr. Sumaya Farhat-Naser eingeladen. Herr Barenboim und Frau Farhat-Naser, gehören zu den herausragenden Persönlichkeiten, die sich jeweils auf bewunderswerte Weise für den palästinensisch-israelischen Dialog engagieren und dafür sorgen, dass der noch bestehende dünne Faden menschlicher Beziehungen zwischen beiden Völkern nicht abreisst. Daniel Barenboim hat mit seinem West-Eastern-Divan-Orchestra palästinensische und israelische Musiker zusammengebracht. Sumaya Farhat-Naser sorgt seit Jahren unerschrocken für einen ständigen Dialog zwischen palästinensischen und israelischen Frauen.
Uns sind die Umstände, die zur Absetzung der geplanten Sendung führten, nicht bekannt. Im Ergebnis ist diese Entscheidung der Redaktion auf jeden Fall aber ein harter Schlag gegen die Pressefreiheit und die Demokratie in Deutschland, um so inakzeptabler, wenn die ARD unter politischem Druck gehandelt hat.
Wir bedauern sehr die Absetzung der Sendung. Die deutsche Öffentlichkeit hat gerade wegen der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel und Palästina einen Anspruch auf umfassende und differenzierte Information über den Krieg in Gaza, zumal die deutschen Massenmedien ihrer Verpflichtung, über den aktuellen Konflikt objektiv zu berichten, überwiegend nicht nachkommen und die Menschen hierzulande nur einseitig informieren. Die erst geplante und dann abgesetzte Sendung der ARD-Talkshow 'Anne Will' wäre ein erster und dringender Versuch gewesen, den bestehenden Missstand der einseitigen Berichterstattung zu einem höchst brisanten wie aktuellen Krieg ein wenig zu beheben.
Wir wollen Sie, sehr geehrter Herr Baumann, sehr geehrte Frau Will, ermutigen, Ihre Entscheidung zu revidieren und die Sendung mit der Teilnahme von Daniel Barenboim und Sumaya Farhat-Naser so bald wie möglich nachzuholen und gegen jeglichen politischen Druck, von welcher Seite auch immer, standhaft zu bleiben.“


(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

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