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Mittwoch, 26. Juli 2023

Agora (8): Amelie Frieds Laudatio auf Maren Kroymann

Am 25. Juli 2023 wurde Maren Kroymann im Alten Rathaus mit dem Dieter-Hildebrandt-Preis der Stadt München ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Amelie Fried:

Verehrte Anwesende, liebe Freunde und Freundinnen, Weggefährten- und Gefährtinnen der Preisträgerin, liebe Maren! 

Frauen sind nicht komisch. Also, sie sind...“komisch“. Aber nicht komisch. Das ist es, was uns lange eingeredet wurde, so ähnlich wie die Behauptung, dass Frauen angeblich nicht Spitzenköchinnen oder Dirigentinnen sein können. Zum Glück kommt immer irgendwann eine Frau und widerlegt solche Vorurteile. 

Was den Humor angeht, gehört Maren Kroymann in Deutschland zu den Künstlerinnen, die uns gezeigt haben: Humor kann weiblich sein, ohne dämlich zu sein, er kann sogar scharf und politisch sein, und er ist dann am besten, wenn er die Stereotype männlichen Humors auf den Kopf stellt und dadurch entlarvt. 

Denn tatsächlich galt Humor Jahrhunderte lang als männlich; sogar wissenschaftlich wollte man das festgestellt haben. Sam Shuster, ein emeritierter Professor der englischen University of East Anglia stellte die These auf, Humor sei eine Sache der Hormone, genauer gesagt eine Frage des Testosteronspiegels. Humor resultiere aus Aggressivität, die in eine verbale Äußerung kanalisiert würde und bestenfalls als Witz ende. Aus dem Faustschlag werde also gewissermaßen ein Scherz. Auch sprachlich passt das: Ein Witz muss genauso sitzen wie ein Schlag (punch) – Punch line ist der englische Begriff für Pointe. 

Nun hauen Männer bekanntlich humortechnisch gerne mal daneben, die Witze fallen dann derb oder sogar sexistisch aus, und lange nahm man das – auch als Frau – eben so hin. Nicht so Maren Kroymann. Sie verwendet eine Technik aus dem Judo: Den Schwung des Gegners auffangen und sich zunutze machen. Am Ende liegt er auf der Matte. „Keine Parodie misslingt ihr, nichts gerät ihr peinlich!“ schrieb die TAZ 2019, anlässlich ihres 70. Geburtstages. Und dieser Instinkt, diese Geschmackssicherheit ist es wohl auch, die sie durchgetragen hat durch eine 40-jährige Karriere auf der Bühne und vor der Kamera, die in Deutschland ihresgleichen sucht. 

Maren Kroymann wurde in ein bürgerlich-akademisches Elternhaus geboren, wuchs mit vier Brüdern im beschaulichen Tübingen auf und ihr erster Berufswunsch war: Englischlehrerin. Aber dann muss irgendwas passiert sein, das ihre andere, unbürgerliche Seite geweckt hat. Zum Glück, möchte man sagen.

 Seit 1982 steht sie auf der Bühne, zunächst als Sängerin, die das gängige Frauenbild anhand von Schlagern kritisch hinterfragt, und mit ihrem ersten Soloprogramm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ liefert sie gewissermaßen den Soundtrack zur damaligen Debatte, ob enge Kleider und hohe Absätze der Emanzipation schaden, weil sie die Frau zum Objekt männlicher Begierde degradieren, oder ob sie – im Gegenteil – ein Ausdruck weiblichen Selbstbewusstseins sind. 

Über diese Frage ist übrigens bis heute kein Konsens erzielt worden, aber Maren Kroymann hat sich der Debatte früh entzogen, indem sie sehr entspannt unter Beweis gestellt hat, dass Eleganz und Intelligenz sich keineswegs ausschließen, ja, dass man sogar Feministin sein kann, ohne Sackkleider und Gesundheitsschuhe zu tragen und die Achselhaare wuchern zu lassen.

1985 war sie zum ersten Mal im Fernsehen – als Gast in Dieter Hildebrandts Sendung „Scheibenwischer“. Als Kabarettistin war sie eine neuartige Figur, an die das Publikum sich erst gewöhnen musste. Politisches Kabarett gab es hierzulande schon, Comedy war erst im Kommen, und Maren Kroymann verkörperte irgendwas dazwischen, ein eigenständiges Genre, das nicht den predigerhaften Charakter der amerikanischen Stand up Comedy hatte (die nicht zufällig aus dem Land der evangelikalen Prediger kommt), aber auch nicht die schwarz-weiß-moralischen Gewissheiten deutschen Polit-Kabaretts. Und so dauerte es etwas, bis sie sich ihren Platz in der Kabarett-Szene erobert hatte. 

Was vielen nicht bewusst ist: Maren Kroymann schrieb ihre Texte lange Zeit selbst und entwickelte ihre Figuren eigenständig; sie war als Kabarettistin nicht das Produkt männlicher Phantasien und männlich geprägter Produktionsfirmen – etwas, das sie von ihren wenigen Kolleginnen damals und vor allem von vielen weiblichen Comedy-Stars der jüngeren Zeit unterscheidet. 

Aber, wie sie selbst sagt, sie musste erst dazu überredet werden, etwas Eigenes zu machen, weil sie es sich – typisch Frau - selbst nicht zutraute. Übrigens wurde sie dazu von einem Mann überredet (Jürgen Breest, dem damaligen Unterhaltungschef von Radio Bremen), wie sie überhaupt – wie sie selbst sagt – durchaus auch Unterstützung von Männern bekam, aber eben nicht nur. Manche erklärten ihr auch, sie solle bitte nur singen und dabei mit dem Hintern wackeln. Sogar mit Tomaten wurde sie mal beworfen, so befremdlich fanden es offenbar manche, dass eine Frau nicht vorgefertigte Texte spricht, sondern eigene Gedanken auf die Bühne bringt.

Bis heute, wo Maren Kroymann mit einem Autor:innenteam arbeitet, ist es ihr wichtig, kein „Meinungskabarett“ zu machen, nicht vorzugeben, sie sei im Besitz der einzig richtigen Wahrheit, sondern eher dialektisch zu arbeiten, Anregungen zum Nachdenken zu geben und nicht auf die reflexhafte Zustimmung des Publikums zu setzen. 

Gehen wir nochmal zurück auf der Zeitachse: 1993 kam der Durchbruch mit ihrer ersten eigenen Sendung „Nachtschwester Kroymann“, in der sie vor allem ihr Talent zur Parodie unter Beweis stellen konnte. Kaum eine prominente Frau war vor ihr sicher, und ihre Imitationen konnten recht gnadenlos sein. Meine Lieblingsparodie war die von Regine Hildebrandt (übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem Namensgeber dieses Preises), der SPD-Politikerin aus dem Osten, die eine fürchterliche Nervensäge sein konnte, dabei aber ungeheuer engagiert und in ihrer Schnoddrigkeit sehr liebenswert war – und genau diese Mischung war auch in der Parodie zu spüren. 

Parallel dazu entwickelte sich Maren Kroymanns Karriere als Schauspielerin. In „Oh Gott, Herr Pfarrer!“ war sie an der Seite von Robert Atzorn – wie sie es selbst formuliert – „die erste feministische Serienmutter“, und in der Serie „Vera Wesskamp“ spielte sie eine Frau, die nach dem Unfalltod ihres Mannes drei Kinder aufziehen und das Familienunternehmen retten soll. 

Die Liste ihrer Film- und Fernsehrollen ist schier endlos, und es waren fast immer starke Frauen, die sie gespielt hat, auf jeden Fall Frauen, die gegen Konventionen verstoßen und auch mal Tabus brechen. Ein Film, der ihr besonders am Herzen liegt, ist der Kinofilm „Verfolgt“ von Angelina Maccarone, die Geschichte einer sado-masochistischen Beziehung zwischen einer älteren Frau und einem sehr jungen Mann, gespielt von Kostja Ullmann. Der Film, in kunstvollem schwarz-weiß gedreht, erhielt 2006 den Goldenen Leoparden beim Filmfestival in Locarno. 

1993 geschah etwas, dessen Auswirkungen – so kann man sagen – nicht nur für Maren Kroymann bis heute spürbar sind. Die Zeitschrift STERN hatte die Kampagnen „Ich habe abgetrieben“ und „Ich bin schwul“ publiziert – nun sollte „Ich bin lesbisch“ folgen. Maren Kroymann gibt zu, dass sie lange überlegt, sich dann aber entschlossen hat, mitzumachen, weil sie es wichtig fand und solidarisch sein wollte. Leider sagten kurz vorher alle anderen bekannten Frauen ab, und so war sie die einzige Prominente, die noch dabei war. Die Folge war, ich zitiere sie selbst: „Üble Reaktionen, Verrisse, ein Jahr lang kein Angebot zum Spielen.“ 

Maren Kroymann dachte damals, sie bereite den Weg für ihre queeren Kolleginnen und Kollegen – aber als die sahen, wie es ihr nach ihrem Outing erging, taten sie natürlich einen Teufel, ihrem Beispiel zu folgen. Es sollte noch Jahre dauern, bis viele Schauspieler:innen, Moderator:innen, Sportler:innen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich nicht mehr gezwungen fühlten, ihre Homosexualität zu verstecken. Ganz allmählich hat man den Eindruck, dass es hierzulande kaum eine Rolle mehr spielt, welche sexuellen Präferenzen eine Person hat. Und wenn es irgendwann hoffentlich ganz egal geworden ist, wird unsere Preisträgerin einen nicht unerheblichen Anteil daran haben. 

Sie selbst sagt heute im Rückblick auf diese Zeit, die Erfahrung habe sie gestärkt. Sie habe gelernt, sich unabhängig zu machen und Gegenwind auszuhalten – und das sei das Wichtigste für eine Kabarettistin. Sie geht sogar noch weiter und sagt, als weiße alte Frau wäre sie doch wahrscheinlich längst weg vom Fenster, da sei es nicht von Nachteil, einer diskriminierten Randgruppe anzugehören. „Meine Queerness schützt mich“, so ihre Worte. 

Ob das wirklich stimmt, oder ob es mehr mit ihrem Können, ihrer Vielseitigkeit und ihrer Coolness zu tun hat, dass auch junge Leute sie toll finden, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Tatsache ist, dass Maren Kroymann in einem Alter, in dem andere über ihre Zipperlein klagen und höchstens noch Butterfahrten ins Emsland planen, einen Karriereschub erlebt hat, der wirklich außergewöhnlich ist. Seit zehn Jahren wird sie mit Preisen und Auszeichnungen regelrecht überhäuft, seit 2017 ist sie mit dem TV-Format „Kroymann“ wieder regelmäßig auf Sendung, und darüber hinaus dreht sie unaufhörlich Filme. 

Man kann sagen, je älter sie wird, desto erfolgreicher wird sie, und auch darin ist sie ein wunderbares Role Model für uns Frauen, die wir ja dazu neigen, uns ab einem gewissen Alter nicht nur unsichtbar zu fühlen, sondern auch unsichtbar zu machen. Maren Kroymann zeigt uns, dass es auch anders geht. 

An dieser Stelle würde ich gern eine ganz persönliche Beobachtung einflechten. Man sagt uns Frauen ja gerne nach, wir seien „stutenbissig“, konkurrierten untereinander und ließen uns gern mal abfällig über unsere Geschlechtsgenossinen aus. Und wenn wir jetzt mal ehrlich sind, ja, sowas kommt vor, und gar nicht selten. 

Seit ich Maren Kroymann kenne, und ich kenne sie auch persönlich, habe ich noch nie erlebt, dass sie sich hämisch oder herablassend über Kolleginnen geäußert hätte. Es ist, als fühle sie so etwas wie eine Grundsolidarität mit Frauen und insbesondere mit Frauen aus der Film- und Fernsehbranche – weil sie weiß, wie schwer es denen oft gemacht wird, gegen wie viel Ignoranz und Voreingenommenheit sie sich wehren müssen. Auch wenn sie vielleicht persönlich nicht alles gut findet, was eine Kollegin beruflich macht, Maren würde sich immer hinter sie stellen und sie unterstützen. Sie hat es einfach nicht nötig, sich auf Kosten anderer zu profilieren oder ihnen gar schaden zu wollen. Und das ist – ich spreche aus eigener Erfahrung – in dieser Branche alles andere als selbstverständlich. 

Gerade sagte ich, dass auch junge Leute sie toll finden. Und das liegt daran, dass sie nicht versucht, mit Gewalt jung zu bleiben oder jung auszusehen, sondern dass sie selbstbewusst und selbstironisch mit dem Thema Alter umgeht. Ich empfehle Ihnen dringend, sich das Musikvideo „Wir sind die Alten“ anzusehen – es hat inzwischen über eine Million Klicks auf Facebook und zeigt all denen sehr humorvoll den Mittelfinger, die glauben, Jugend sei ein Verdienst und Alter eine Schande. Auch in ihr Bühnenprogramm „In my Sixties“ kommen immer mehr junge Leute, denen die Mischung aus selbstbewusster Weiblichkeit, Haltung, Humor und Professionalität gefällt. 

Außerdem – und auch das ist übrigens nicht selbstverständlich - geht Maren Kroymann als Künstlerin mit der Zeit und ist nicht nur in Fernsehen und Kino präsent, sondern auch auf sozialen Medien, wodurch sie sich neue Publikumsschichten erschließt. Das ist „in unseren Kreisen“ und in unserer Generation ja oft noch verpönt, und viele (mich eingeschlossen) nehmen nur höchst widerwillig zu Kenntnis, dass man ohne diese Medien heute eigentlich nichts mehr verkaufen kann, keine Meinungen, keine Bücher, keine Kunst. Aber das ist ein anderes Thema. 

Maren Kroymann ist auch eine politische Künstlerin, aber nicht nur. Sie ist aber durch und durch eine politische Frau, und als solche zeigt sie Haltung, wenn sie es für notwendig hält. Für sehr notwendig hielt sie es, sich bei der Verleihung des Deutschen Comedy Preises 2021 zum Thema Metoo und dem Umgang der Branche damit zu Wort zu melden. Nachdem sie den Preis für ihr Lebenswerk entgegengenommen hatte, sagte sie unter anderem: „Ich werde jetzt dafür ausgezeichnet, dass ich lustige Geschichten erzähle. Und es gibt Frauen, die eben Geschichten erzählen, die ihre Geschichten sind, die nicht lustig sind. Und sie werden nicht so gerne gehört. (...) Ich würde mir wünschen, dass ihre Geschichte gehört wird. Dass diese Frauen ernst genommen werden. Dass sie respektiert werden. Dass man ihnen glaubt.“ 

Für diese Rede wurde Maren Kroymann von der Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen mit dem Preis für die Rede des Jahres ausgezeichnet. Und ich glaube, ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, dass ihr diese Auszeichnung eine der wertvollsten ist. Sie kann eigentlich nur noch durch eine einzige andere Auszeichnung getoppt werden ;-) 

Liebe Maren, die Jury des Dieter-Hildebrandt-Preises wundert sich in ihrer eigenen Jury-Begründung, warum du den Dieter-Hildebrandt-Preis eigentlich noch nicht hast. Nun bekommst du ihn, und eines steht fest: Dieter Hildebrandt hätte sich darüber unglaublich gefreut! 

Herzlichen Glückwunsch! 

Montag, 24. August 2020

Die Flüsterpreise der Landeshauptstadt München

So kleinlaut habe ich das Kulturreferat nicht mehr erlebt, seit Jürgen Kolbe vor zig Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte und alle Welt es geheimhalten wollte… Dabei war der Anlaß heuer grundsätzlich erst einmal ein erfreulicher.
Es war sogar eine der letzten rauschenden Kulturnächte in München, bevor sich Corona wie Mehltau über die Stadt legte. Die Förderpreise der Landeshauptstadt München standen an und zur Vernissage in der Lothringer 13 strömte am 5. März tout Munich oder zumindest der kulturell interessierte Teil davon nach Haidhausen.
Alle zwei Jahre vergibt die Stadt sechs dieser jeweils mit 6.000 Euro dotierten Förderpreise als Auszeichnung einer künstlerisch herausragenden Leistung in den Bereichen Architektur, Design, Fotografie, Schmuck und sogar an zwei Preisträger*innen der Bildenden Kunst. Beurteilt wird dabei von der aus Stadträt*innen und Fachleuten gebildeten Jury das gesamte bisherige Schaffen.
Die Jurysitzungen sollten dann in den Wochen nach der Vernissage in den Ausstellungsräumen stattfinden, die Preisverleihung am 7. Mai. Doch dann schlugen die coronabedingten Ausgangsbeschränkungen Mitte März ein. Die Zeit, als in den Münchner Straßen Polizei und Feuerwehr via Lautsprecherdurchsagen davor warnten, das Haus ohne triftigen Grund zu verlassen. Im Wording des Kulturreferats: „ein kurzfristiger Shut Down“.
Und obwohl Kulturförderung und die Ausübung eines Wahlamtes sicherlich ein ausreichend triftiger Grund gewesen wären, die Lothringer 13 zudem groß genug, um sogar die jeweilige Fachjury mit ausreichend Sicherheitsabstand zu empfangen, und obwohl die Ausstellung selbst umgehend auch in digitaler Form online bereit stand und Jurysitzungen via Videokonferenz denkbar gewesen wären, geschah erst einmal gar nichts.
Außer einer Kommunalwahl, die dazu führte dass die aus dem Stadtrat entsandten Jurymitglieder nicht mehr zur Verfügung standen und der bürokratische Rattenschwanz: Wahl des Stadtrats, Besetzung des Kulturausschusses, Nominierung der Jurymitglieder für den Förderpreis, Wahl der Jurymitglieder von Neuem begann, während die für die Förderpreise Nominierten gerade während einer Pandemie, in der jedes Preisgeld ersehnt gewesen wäre, nicht einmal vertröstet wurden, sondern gar nichts mehr hörten. Stillstand. Schweigen.
Während die Stadt keine Probleme hatte, die Kinoprogramm- und Schwabinger Kunstpreise trotz Covid-19 wie geplant zu verleihen. Um Stadträtin Mona Fuchs von den Grünen zu zitieren: „Gerade Preisgelder sind in der jetzigen Situation ein wichtiges Zubrot.“
Anfang Mai nahm der neue Stadtrat seine Arbeit auf. Aber erst am 17. Juni erbarmte sich die in der Philharmonie im Gasteig tagende Vollversammlung endlich auch der Förderpreise und setzte die Kür der neuen Jury auf die Tagesordnung.
Weitere zwei Monate später wurden denn auch tatsächlich die Förderpreise verliehen. Der Feriensenat des Münchner Stadtrats folgte den Empfehlungen der Jurys und eine kleine Meldung in der „Rathaus-Umschau“ kündete davon. 
Die Nominierten sollen angeblich Nominierte und sogar Preisträger sind währenddessen tagelang nicht etwa vom Kulturreferat benachrichtigt worden, nichts davon erfahren und sondern haben erst auf Eigeninitiative der Webseite der Stadt München entnommen haben oder durch mich erfahren, wer die glücklichen Gewinner*innen sind: Der Designer Leonhard Rothmoser, die Architekten Carsten Jungfer & Norbert Kling/zectorarchitects, die Schmuckdesignerin Carina Shoshtary und die Fotografin Saskia Groneberg. In Bildender Kunst gewannen Sophia Süßmilch (Foto unten) und Maria VMier. Wobei Kulturreferent Anton Biebl (Foto oben) in seinem offiziellen Glückwunschschreiben Süßmilch zum Förderpreis für Architektur gratulierte…
Vielleicht die letzten Förderpreisträger*innen überhaupt. Bisher wurde nur bei den Ausstellungskosten der Förderpreise gespart. (Zum Vergleich: In den städtischen Kunstarkaden erhalten die Ausstellenden beispielsweise ein Budget in Höhe von 1.500 Euro zur Deckung ihrer Kosten.) Ausgerechnet bei den Förderpreisen erhalten aber die teilnehmenden Künstler*innen weder eine Aufwandsentschädigung, noch eine Ausstellungsvergütung. Wir wurden dazu angehalten, Werkzeug selbst mitzubringen und zur Installation/zum Aufbau gab es keine Hilfskräfte vor Ort. Man hat ja Unkosten und Zeitaufwand und es ist ein städtischer Preis in einer städtischen Einrichtung einer der reichsten Städte Deutschlands. Das geht einfach nicht. Man lässt ja auch nicht umsonst mehrere Musiker für ein öffentliches Konzert aufspielen und gibt dann nur einem davon Geld. Fehlende Vergütung ist mitunter ein Grund. warum Künstler so prekär leben, und die Stadt müsste hier eigentlich Vorreiter sein, immerhin einen Mindestlohn für den Aufwand zahlen. Es reicht nicht, dass EINER einen prestigeträchtigen Preis bekommt und alle anderen mit Unkosten dastehen – und die Stadt sich für ihre Großzügigkeit auf die Schultern klopft.“
Inzwischen ist gerüchteweise sogar die Rede davon, nicht mehr nur bei der Ausstellung zu sparen, sondern im Rahmen der pandemiebedingten kommunalen Einsparungen die Förderpreise nicht mehr nur aufzuschieben, sondern abzuschaffen. 
Vielleicht schafft man es aber im Gegenteil auch, die Förderpreise nicht nur zu bewahren, sondern auch in ihrem Profil zu schärfen? Es gibt keine festgelegten Förderkriterien: gewinnt der Nachwuchs, der oder die Bekannteste, der/die kommerzielle oder der künstlerische Designer/Künstler/...? Die Jury ist nicht unabhängig. Die Nominierenden sind gleichzeitig die Jury, zusammen mit einer Auswahl vom Stadträten, die über keinerlei Expertise verfügen, aber deren Mehrheit schließlich entscheidet (gegeben, dass jeder Nominierende sich wohl für seinen Vorschlag aussprechen dürfte). Der Preis wird fürs Lebenswerk bzw. das gesamte Schaffen verliehen – aber das ist ja in der Ausstellung nicht zu sehen, man muss auch keine Mappe oder ähnliches abgeben. Es hängt dann wohl am eigenen Nominierenden/Juror, den anderen Teilnehmern der Jury das Lebenswerk nahe zu bringen oder man muss hoffen, dass die Jury schon mal irgendwo irgendwas von einem gesehen hat.“
Nominiert waren heuer übrigens aus der Bildenden Kunst Felix Burger, Lena Grossmann, Maria VMier, Cordula Schieri, Angela Stiegler und Sophia Süssmilch. Die Fotograf*innen Maria Leonardo Cabrita, Jutta Görlich & Edward Beierle, Saskia Groneberg, Peter Langenhahn, Michael Mönnich, Sigrid Reinichs und Anne Wild. Die Schmuckdesigner*innen Eunmi Chun, Nadine Kuffner, Nicola Scholz, Barbara Schrobenhauser und Carina Shoshtary. Die Architekt*innen Florian Heim & Markus O. Kuntscher, Wolfgang Huß, Martin Kühfuss & Christian Schühle, Julian Chiellino, Felix Reiner & Sophie Reiner, Max Otto Zitzelsberger, Carsten Jungfer & Norbert Kling und Carmen Wolf. Und die Designer*innen Mario Kellhammer, Ana Relvao & Gerhardt Kellermann, Leonhard Rothmoser, Maximilian Schachtner, Conor Trawinski und Barbara Yelin.
Die fünf Teiljurys werden turnusgemäß im Herbst des Vorjahres per Kommissionenbeschluß vom Stadtrat gekürt. Jeweils sechs Fachjuroren auf Vorschlag des Kulturreferats. Dazu jeweils fünf Mitglieder des Stadtrats, die diesen Sommer teilweise ausgetauscht wurden. 2020 waren das in der Bildenden Kunst: Lisa Britzger, Babylonia Constantinides (Preisträgerin 2018), Anita Edenhofer, Christian Landspersky (Preisträger 2014), Konstantin Lannert und Leo Lencses sowie vom alten Stadtrat Kathrin Abele, Beatrix Burkhardt, Sabine Krieger, Marian Offman und Constanze Söllner-Schaar. In der Fotografie: Gürsoy Dogtas, Ulrich Gebert, Elke Jordanow, Nadine Loes, Mara Pollak (Preisträgerin 2018) und ein mir vom Kulturreferat vorenthaltenes Mitglied sowie vom alten Stadtrat Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Marian Offman, Julia Schönfeld-Knorr und Otto Seidl. Im Design: Xugen Dam, Erika Groll, Johannes Gumpp, Ulrike Rehwagen, Tanja Seiner und Antonia Voit sowie vom alten Stadtrat Kristina Frank, Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Otto Seidl und Constanze Söllner-Schaar. In der Architektur: Nicola Borgmann, Gabriela Cianciolo, Natalie Essig, Urs Greutmann, Karl R. Kegler und ein mir vom Kulturreferat vorenthaltenes Mitglied sowie vom alten Stadtrat Kristina Frank, Sabine Krieger, Horst Lischka (vertreten durch Klaus Peter Rupp), Julia Schönfeld-Knor (vertreten durch Constanze Söllner-Schaar) und Walter Zöller. Und im Schmuckdesign: Angela Böck, Unk Kraus, Karen Pontoppidan, Annamaria Leiste (Preisträgerin 2018), Doris Sacher und Gisbert Stach sowie vom alten Stadtrat Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Marian Offman, Richard Quaas und Constanze Söllner-Schaar. 

Donnerstag, 27. Februar 2020

Agora (7): Kristof Magnussons Laudatio auf Dana von Suffrin anläßlich des Ernst-Hoferichter-Preises

Am 30. Januar wurden Dana von Suffrin und Rudi Hurzlmeier im Literaturhaus mit dem Ernst-Hoferichter-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Während Gerhard Polts Lobrede auf Rudi Hurzlmeier mit einem „Rudi…, Respekt!“ zusammenzufassen ist, war Kristof Magnussons Laudatio auf Dana von Suffrin ein elaboriertes Juwel: 

Liebe Dana von Suffrin, verehrte Anwesende!

Wir sind heute hier, um „Otto“ zu feiern, den großartigen Debutroman von Dana von Suffrin.

Das Wort „Debut“ ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, schließlich ist das DER große Moment im Leben einer jeden Schriftstellerin und eines jeden Schriftstellers.

Zuvor hat man ja eigentlich nur vor sich hingelebt, wahrscheinlich auch schon länger vor sich hin geschrieben, doch dann kommt dieser Moment, den es in jedem Autorinnenleben nur ein Mal gibt, und ich frage mich manchmal, ob dieser Moment im deutschen Literaturbetrieb seiner Tragweite angemessen gewürdigt wird. In Island, zum Beispiel, ist es eine Zeitungsmeldung wert, wenn sich das Debut angesehener Autorinnen zum zwanzigsten oder vierzigsten Mal jährt. Da heißt es dann: „Wir gratulieren zum Schriftstellergeburtstag“.

Mein Schriftstellergeburtstag jährt sich dieses Jahr zum fünfzehnten Mal. Kurz vor Erscheinen meines ersten Romans saß ich in einem Münchener Restaurant, mit meiner Verlegerin Antje Kunstmann und ein paar anderen Leuten, darunter der britische Autor Tim Parks. Als Tim Parks mich fragte, wer ich eigentlich sei, erzählte ich ihm stolz, dass im Kunstmann-Verlag demnächst mein erster Roman erscheine. Daraufhin fragte er: „Und? Geht es um Familie?“

Der Inhalt meines ersten Romans tut hier nichts zur Sache, aber eins ist klar. Tim Parks hatte Recht. 
„Ja, es geht um Familie“, sagte ich. „Woher wussten Sie das?“
„In Debutromanen geht es immer um Familie“, sagte Tim Parks.

Diese These finde ich immer wieder bestätigt. Machen Sie sich mal den Spaß und achten Sie darauf. Von Thomas Manns „Buddenbrooks“ über Jonathan Franzens „Die 27ste Stadt“ bis zu „Die Straße in die Stadt“ von Natalia Ginzburg und „Vienna“ von Eva Menasse…es gibt eine erstaunliche Häufung von Familiengeschichten in ersten Büchern.

Ist ja auch irgendwie logisch. Wir alle sind von unseren Familien geprägt, diesen verschiedensten Menschen, die eine Mischung aus Liebe und Zufall zusammengewürfelt hat. Wer wünscht sich nicht, in diesen uns so nahe gehenden und letztendlich doch nie verstehbaren Flohzirkus ein bisschen Ordnung hineinzubringen, indem wir daraus eine Geschichte machen, die ordentlich zwischen zwei Buchdeckel passt?

Dana von Suffrins Debutroman ist ein Familienroman, wobei diese Familie hauptsächlich aus einem Vater besteht. Es geht um OTTO.

Auf den ersten Seiten des Buches könnte man noch glauben, es handele sich um eine Liebesgeschichte. Die Erzählerin erzählt von ihrem zweiten „Mann“, Tann, den sie kennenlernt, als sie beide im Krankenhaus alte Menschen besuchen, Tann seine Tante. Und Timna eben ihren Vater. Otto.

Doch dann drängt Otto sich mit brachialer Kraft in die Geschichte hinein und lässt sie nicht wieder los. So hinfällig er auch im Laufe seines sechsmonatigen Krankenhausaufenthalts geworden ist – seine Tochter Timna hat er im Griff, und ihre Schwester Babi ebenso. Otto war schon immer ein Tyrann gewesen. Die Bedürfnisse anderer Leute sind ihm nicht nur egal, er scheint sie nicht einmal wahrzunehmen, selbst wenn es um seine eigenen Töchter geht.
Er hat gleich mehreren Ehefrauen das Leben zur Hölle gemacht und dann über jede einen Aktenordner angelegt, die er bei sich im Keller aufbewahrt, zusammen mit Dingen, die er auf der Arbeit geklaut hat. Wenn seine Töchter früher einmal schlechte Schulnoten mit nach Hause brachten, hat er sie als „dumm“ beschimpft, und beim Essen ist sein liebstes Gesprächsthema: sein Urin.
Und nun, wo Otto im Krankenhaus zum ersten Mal Schwäche zeigen muss, setzt er auch diese Schwäche als Waffe ein. Er betont bei jeder Gelegenheit die Wichtigkeit von Familie, wobei diese Familie natürlich in erster Linie eins ist: Er selbst. La famille, c’est moi. Wie ein genialer Regisseur benutzt Otto seine Hinfälligkeit, um seine Töchter nach seiner Pfeife tanzen zu lassen: Er stirbt, dann stirbt er wieder nicht, dann stirbt er wieder, dann wieder nicht. Selbst im Wachkoma scheint er seine Töchter noch vorwurfsvoll anzusehen.

Es gibt Gründe, warum Otto so ist, wie er ist. 1938 als Siebenbürger Jude in Kronstadt geboren, entkam er nur knapp der Vernichtung durch die Deutschen. Der Großteil seiner Familie hatte dieses Glück nicht.
Im kommunistischen Rumänien war Otto als Sohn einer jüdischen Unternehmerfamilie Anfeindungen ausgesetzt, nach seiner Auswanderung nach Israel kämpfte er dort gleich in VIER Kriegen. In den Sechzigerjahren geht Otto nach Deutschland und hat es auch hier alles andere als leicht. Umso wichtiger, eben: Die Familie.

Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, stehen hinter jeder Seite dieses Romans. Ottos Verfolgungs-Erfahrungen sind immer da, jahrelang hatte er eine Tasche mit den Ausweisen seiner Töchter bei sich, um vorbereitet zu sein, falls sie doch einmal deportiert würden. Ottos Traumata sind der sprichwörtliche Elefant im Wohnzimmer – und da Otto wiederum der Elefant im Wohnzimmer seiner Töchter ist, werden auch die immer wieder eingeholt von der Geschichte. SEINER Geschichte.

Wenn Timna gemütlich mit ihrem Love Interest auf dem Sofa liegt, muss Otto nur anrufen und sie springt auf und fährt ins Krankenhaus. Selbst als Timnas Schwester Babi einen Selbstmordversuch begeht und danach wochenlang in der Psychiatrie behandelt wird, nutzt sie ihre wenigen Ausgeh-Stunden, um zu Otto zu fahren, einen Menschen, der sie häufig mit „Arschloch“ anredet.

All das muss man aushalten, wenn man „Otto“ liest. Nein. Ich korrigiere mich. Das WILL man aushalten. Denn Dana von Suffrin ist es auf kaum mehr als zweihundert Seiten gelungen, mit großer Tiefe davon zu erzählen, wie Erfahrungen der Eltern in den Kindern fortwirken. Sie beschönigt nichts, nicht das Leid, das durch Nazideutschland über die Welt kam, und auch nicht die Folgen, die es haben kann, einen Egomanen zum Vater zu haben. Dennoch ist „Otto“ keine selbstmitleidig im Schmutz wühlende Anklageschrift, sondern ein großes Lesevergnügen.

Wie ist Dana von Suffrin das gelungen? Die Gründe dafür lassen sich auf allen Ebenen des Erzählens finden: In der Geschichte. In der Art, wie die Erzählerin Timna die Welt sieht. Und in der Sprache, mit der sie davon erzählt.

Dana von Suffrin verzichtet dankenswerter Weise darauf, einen klassischen Roman mit einem großen, auf einen Höhepunkt zulaufenden Bogen zu schreiben. Stattdessen erzählt sie in Episoden davon, wie Timna und ihre Schwester versuchen, sich in der Gegenwart zurechtzufinden, wie sie Ottos Pflege, ihr brüchiges Liebesleben und ihre nicht weniger brüchigen Karrieren organisieren. Und sie springt immer wieder in vergangene Jahrzehnte, in Geschichten aus ihrer Kindheit, vom Aufwachsen mit Otto und der alkoholkranken Mutter, von Urlauben im sparsamen Wohnwagen, Reisen nach Haifa zum Grab der Oma, erzählt davon wie Timna und ihre Schwester – Otto als Vorbild – anfingen zu klauen,. Und kombiniert das mit dem, was sie von Otto aus der Vergangenheit weiß: Die Migrationsgeschichte von Otto und seinen Vorfahren, aus dem Stetl in Galizien über Wien nach Siebenbürgen, nach Israel und schließlich nach München.

So wirft Dana von Suffrin, wenn Sie mir das etwas drollige Bild verzeihen, mit jeder Episode einen Dartpfeil auf den Elefanten im Wohnzimmer. Diese Dartpfeile treffen ihn nie, das wäre übererklärt. Aber sie sind so präzise geworfen, dass dessen Umrisse am Schluss des Buches erkennbar sind.

Dort heißt es: „Meine Gedanken waren kein Monument, meine Familie war nicht bedeutend, und meine Geschichte war es nicht. Nichts davon verdiente eine Gedenkstätte. Meine Gedanken waren nur so lange da wie ich, und sie waren Gedanken des Hasses und der Liebe.“

Gedanken des Hasses und der Liebe. Ohne diese Gemengelage würde der Roman nicht funktionieren. Es gibt nicht viele Szenen, die Otto als liebevollen Vater darstellen. Und doch ist diese Liebe von Timna zu ihm da. Sonst würde man sich ja dauernd fragen, warum sie sich von ihm manipulieren lässt. Aber das, auch eine große Kunst dieses Romans, fragt man sich nie. Woher kommt also diese Liebe, die wir selbst für Familienmitglieder empfinden, die nicht gut zu uns sind?

Am Anfang des Romans heißt es dazu: „Diese Liebe ist einfach da. Eine Liebe, die durch alle Tümpel der Lächerlichkeit watet.“

Ich spüre diese Liebe dadurch, wie Timna auf Otto mit allen seinen Fehlern sieht. Sie ist empört, wütend, ergriffen, amüsiert, doch eins tut sie nie: sie begibt sich nie in eine überlegene Position, um Otto dann, von oben herab, zu richten. Timna ist nie in der der moralischen Pole Position.
Vielmehr muss ich gestehen, dass ich irgendwann angefangen habe, diesen Otto zu bewundern. Sicher, ein schlimmer Vater. Aber der Einfallsreichtum, mit dem er alle manipuliert – das hat schon was. Und dann diese beeindruckende Beharrlichkeit, mit der er im höchsten Alter weiterhin Auto fährt mit der Begründung, er habe einen Panzerführerschein von der rumänischen Armee. Und die Hybris, mit der er sich als großer Patriarch aufspielt, obwohl er nicht einmal eine Frau hat, sondern nur, wie es im Roman heißt, „Herr über ein Reihenhaus und zwei unglückliche Töchter ist.“
Otto lässt sich von nichts vereinnahmen, erst Recht nicht von der Realität. Und seine Töchter sind ihm in dieser Realitätsverweigerung gar nicht so unähnlich. Timna weiß ja, dass es nicht gut für sie ist, für Otto alles stehen und liegen zu lassen. Aber sie tut es trotzdem, sie folgt dem alten Familienprogramm mit derselben Beharrlichkeit, mit der Otto durch sein Leben gegangen ist.

Doch machtlos ausgeliefert ist sie dieser Dynamik nicht, denn sie kann davon erzählen!

Wenn Timna beschreibt, wie Otto sie und ihre Schwester am Telefon tyrannisiert, erzählt sie auch die Geschichte, wie er immer wieder aus Versehen den ADAC anruft, weil der im Telefonbuch seines Handys direkt über ihrer Schwester Babi steht. Und in der extrem belastenden Situation, als Otto zu Hause allein nicht mehr zurechtkommt, zelebriert sie geradezu den Moment, in dem sie verzweifelt Ottos alte Siebenbürger Freunde auf der Suche nach einer Pflegekraft um Hilfe bittet:

„Binnen zwei Stunden formierte sich ein Bataillon aus duftenden alten Herren mit pomadisierten welligen Haaren, das wie im Wahn Wählschreiben drehte und auf Faxgeräten herumdrückte, das in Telefonhörer sprach, altmodische Vornamen und endlos lange Telefonnummern aufschrieb und sich erst wieder zu einem Gläschen Bier niedersetzte, als es erfolgreich gewesen war.“

Von der, Timnas Kindheit schwer beschädigenden Alkoholkrankheit der Mutter erfahren wir quasi nebenbei. Timna beschreibt eigentlich den Geruch ihres Freundes Tann, der viel Parfüm benutzt, und mitten in dieser Beschreibung kommt auf einmal, IN KLAMMERN folgendes:

„(Das erinnerte mich ein bisschen an meine Mutter, die, wie fast alle Alkoholikerinnen, nach Shalimar, Spirituosen und Zigarettenrauch gerochen hatte.)“

Und wenn Timna von der größten Katastrophe erzählt, klingt das so:

„Dann kamen die Jahre nach 1941, in denen Gott nahm und die Juden wie Gänseblümchen von der Erdoberfläche pflückte. Fast alle unsere Verwandten kamen um, denn sie blieben in Ungarn zurück. (Die Grenze zwischen Rumänien und Ungarn war im Norden, heute gibt es dort kein Rumänien mehr, sondern Ukraine und Ruthenien und Weißderteufelwas, sagte mein Vater, Länder, von denen wir Schwestern nur dank des Eurovision Song Contest eine Vorstellung hatten.)“

Wer erzählt, hat die Wahl, kann sich von den Problemen seiner Figuren überwältigen lassen oder eben nicht. Timna tut das nicht. Sie holt sich durch die Wahl ihrer Worte die Souveränität zurück. Ihr Erzählen ist ein dauerhafter Akt der Selbstermächtigung. Dadurch entfaltet diese Prosa ihre enorme Kraft.

Und daher rührt auch der Humor dieses Buches. Es ist kein Humor der Pointenfrequenz. Kein parodistisches Zerrbild eines „alten Sacks“, sondern ein Humor, der sich einlässt auf die Beschädigungen dieser Welt und ihrer Menschen.

„Wir waren eine Familie von Negativisten, wie mein Vater sagt. Wenn ich in ein Flugzeug stieg, schaltete mein Vater viertelstündlich zum Videotext, um zu überprüfen, ob ich schon abgestürzt war. Kurze und kürzeste Verspätungen konnten wir uns nur damit erklären, dass jemand überfahren oder ausgeraubt worden war. Wenn wir einen Krankenwagen hörten, scharrten wir nervös mit den Füßen, denn sicherlich brannte gerade unser Wohnhaus; wenn der Sanka in die entgegengesetzte Richtung fuhr, dann hatte er sich eben verfahren; kein Grund ruhig zu bleiben.“

Und es ist ein Humor, der sich immer wieder mit Schwermut mischt, wie zum Beispiel bei der Beschreibung von Ottos ungarischer Pflegerin Valli:

„Valli trug in ihren Turnschuhen sehr bunte, weiche Socken aus reinem Polyester und hatte ein großes, merkwürdiges Gesicht: Augen, Augenbrauen und Mund waren ein wenig nach innen gerutscht und nahe an die Nase herangerückt, so blieb eine flächige hohe Stirn, die Valli das Aussehen einer mittelalterlichen Madonna verlieh, nur noch trauriger.“

Valli wird im Laufe ihres Aufenthalts bei Otto immer dicker. Darüber heißt es:

„Einerseits tat uns Vallis Übergewicht sehr leid, andererseits ging es uns hier wie mit den meisten Dingen des Lebens: Wir fanden die Entwicklung von Vallis Körper unendlich traurig und gleichzeitig sensationell komisch und beobachteten verzückt, wie sie sich kiloweise gebratene Geflügelschenkel in den Rachen stopfte, als sei sie ein Vogel, der sein Küken füttert, nur war sie gleichzeitig der Vogel und das Küken.“ 

„Unendlich traurig und gleichzeitig sensationell komisch.“ So ist „Otto“ von Dana von Suffrin. Ein Buch darüber, wie wenig die Vergangenheit vergangen ist, weil sie in unseren Familien weiterlebt. Oder, um ein letztes Mal aus dem Buch zu zitieren: „Wir bleiben Kinder von Kindern.“

Darin liegt eine immense Tragik. Idealerweise sollten wir Menschen nicht so sein. Doch dann kommt zum Glück das Komische und zeigt uns, wie wir als die Menschen leben können, die wir nun einmal sind. „Kinder von Kindern.“

Am Schluss des Buches ist Otto tot. Wir haben einen weiteren Zeitzeugen verloren aus der Zeit, die bis heute – ich hoffe, Sie finden das jetzt nicht anmaßend – der Elefant in unser aller Wohnzimmer ist, auf mehr oder weniger traumatisierende Weise. Einige Jahre noch, dann wird kein Zeitzeuge mehr da sein. Doch das Erzählen geht weiter, denn zum Glück gibt es die Literatur. Zum Glück gibt es solche Literatur wie „Otto“ von Dana von Suffrin.

Das wollen wir heute feiern. Liebe Dana, ich gratuliere Dir von ganzem Herzen zu diesem Buch und zum Ernst-Hoferichter-Preis 2020.

(Foto von Dana von Suffrin mit Kulturreferent Anton Biebl und Laudator Kristof Magnusson: Amrei-Marie)

Mittwoch, 16. Januar 2013

Agora (6): Sigi Zimmerschieds Laudatio auf Luise Kinseher beim Ernst-Hoferichter-Preis

Gestern abend wurden Luise Kinseher und Gerd Holzheimer im Literaturhaus mit dem Ernst-Hoferichter-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Die Laudatio auf Luise Kinseher hielt Sigi Zimmerschied:

Liebe Luise,
meine mehr oder weniger anwesenden Damen und Herren.
Was Laudatios so schwierig macht, ist die Tatsache, daß Preise einen Künstler immer im falschen Moment treffen.
Es wird ja eigentlich nie ein Künstler ausgezeichnet, sondern die Jury gratuliert sich in der Regel dazu, einen gefunden zu haben.
Und das gilt für alle.
Ich persönlich habe für meine besten Arbeiten nie einen Preis bekommen.
Sondern immer dann, wenn ein Juror gesagt hat:
Du, do gibt’s doch noch den...den mid der Nosn...wia hoaßt der denn... Und scho hob i´n ghobt.
Manchen Kollegen hat der Preis so früh getroffen, daß er zu der irrigen Überzeugung gelangt ist, er hätte bereits etwas geschaffen, und diese Position standhaft nie wieder verlassen hat.
Im schlimmsten Falle trifft er einen so spät, daß man sich gar nicht mehr erinnern kann, wofür man ihn bekommt.

Luise Kinseher hat dieser Preis in einer Phase erwischt, in der sie unübersehbar ist. Unübersehbar.
Als Künstlerin natürlich in erster Linie, als Kabarettistin, die mit einer Leichtigkeit und Souveränität ihr multiples Figurenensemble über die Bühne wirbelt, daß einem schwindlig wird.
Die jedem ihrer Geschöpfe ein Gesicht, eine Haltung, eine Sprache und eine so tragikomische, komplexe Seele gibt, daß sich der himmlische Schöpfer wahrscheinlich schon öfter angesichts der Kretins, mit denen er die Welt bevölkert hat, an der Stirn gekratzt haben dürfte und zu sich gesagt hat:
„Worum bring iatzt i sowos ned zam ?“

Unübersehbar.
Als Volksschauspielerin, die, wenn sie das will, jederzeit in die Fußstapfen der ganz Großen dieses Genres treten kann, die diese seltene Mischung hat aus gewinnender Natürlichkeit, tiefer Figurenliebe, waffenscheinpflichtiger Sinnlichkeit und gestaltendem Intellekt.
Einiges, was sich zur Zeit Quotenkönigin nennt, hat von den genannten Qualitäten allenfalls die Kommatas.
Unübersehbar.
Als Nockherbergkönigin, die Landtagskonfirmanden abwatscht, als hätte sie die beim Nasenbohren überrascht.
Mit dem verhängnisvollen Sprachduftwolkencharme eines anheimelnden Desingnerseifenstücks, mit dem die Machtpomeranzen glauben, sich die Hände waschen zu können und auf dem sie ausrutschen wie die Bummerl unter der Gemeinschaftsdusche im Nonneninternat.
Unübersehbar.
Multimedial.
Titelblätterfüllend.
Und zwar in ihrer Funktion als Kabarettistin mit einem Gastauftritt auf dem Nockherberg.
Normalerweise muß man da den Paulanerchef heiraten, damit man das schafft. Titelblatt.
Als Kabarettist und Frau.
Eigentlich unmöglich.
Für so etwas sind allenfalls die Gnadeneinspalter in den Münchner Feuilletons reserviert, und da muß man noch hoffen, daß sich Dieter Dorn nicht gerade einen Finger verstaucht, sonst sind diese 18 Zeilen auch noch weg.
Unübersehbar.
Selbst für eine Jury.
Das wollte sich der Preis nicht entgehen lassen.
Da hat wahrscheinlich der Preis zur Jury gesagt:
Machts ihr wos woits, i geh zur Luise.
Weil do sans olle.
Do is wos los.
Und do is sche.

Ist doch auch schön.
Wo ist das Problem mit der Laudatio?
Es liegt genau darin.
In einer Zeit, in der Kabarett verkommen ist zur medialen Ramschware, in dem theaterungebildete und sinnlichkeitsarme Quotenangsthasen definieren, was dieses Genre ausmacht, bedeutet jede Popularität auch eine Gefahr.
Weil all der Glanz und all die Aufregung es so schwer machen, das Wesentliche an einem Künstler zu entdecken.
Weil eine Frage immer schwerer zu beantworten ist, eine Frage, die für mich, solange ich selbst noch Juror war, immer die entscheidende war.
Muß der da oben das machen?
Oder?!
Macht er das das nur?

Die Medienverführung ist groß.
Selbst ich, der ich die jungen Kollegen oft als Kabarettmoralist und „talibanesque Spaßbremse“ vor den Medien gewarnt habe, finde mich in letzter Zeit manchmal in Produktionen wieder, bei denen ich mir sage:
„Des derfad iatzt de Luise ned wissen!!“

Aber andererseits.
Wer sucht, der irrt.
Und wer in der Medienwelt hofft, schon zweimal.
Entscheidend ist.
Sucht er weiter.
In sich.
Nach den Wurzeln.

Von ihrer Kindheit weiß ich nicht viel.
Aber wer eine Jugendzeit in Straubing so ungebrochen überlebt, der hat zumindest Kraft.
Kennengelernt habe ich sie im Fraunhofer.

Sehnsucht, Glück, Angst und Hoffnung.
Das sei der Kontext ihrer Figuren.
Und somit auch ihrer.
Denn in jeder wahrhaftig gespielten Figur steckt der Darsteller selbst.
So steht es in der Jurybegründung.
Das stimmt.
Wie sie vor nun ,mittlerweile“ über zwanzig Jahren als Bedienung im Fraunhofer einem ein Bier hingestellt hat, da schwang schon viel Sehnsucht mit.
Beobachtungslust.
Das Bier war eigentlich nur eine Tarnung.
Hinter dieser Schaumkrone stand bereits eine komplette Kinseher, eine Person, die einem mit einer unverschämten Freundlichkeit ins Visier nahm.
Ein Blick, der eine Mischung war aus Einladung zum Fensterln, angewandtem Geschlechterkampf und Begleitungsangebot auf dem Weg zu Schafott.
„I bring da scho no oane, a zwoa, wennstas vertrogts.”
Und sie brachte die zwei, auch die drei Biere in der Hoffnung, daß ihr da jemand gegenübersaß, der ihrem Spieltrieb gewachsen war.
Und es war ein Blick, in dem damals bereits, neben all den von der Jury erwähnten Eigenschaften noch etwas geschrieben stand.
Etwas noch viel Wesentlicheres.
Nämlich die Sucht.
Nach skurrilen Menschen.
Nach lustvollen Momenten.
Nach Lachen.
Und nach Gestalten.
Und sie stand da, nachdem die Fixierungsphase abgeschlossen war, mit diesem unwiderstehlichen, unausgesprochenen „Und, wia findst mi?!“
Er war also auch schon damals da.
Der unbedingte Begleiter jeder Bühnenexistenz.
Der Exihibitionismus.
Mitsamt seiner unangenehmen Begleitung.
Der Angst, nicht geliebt zu werden.

Dann schrieb sie ihre ersten beiden Programme.
Die mehr waren als Gehversuche in viel zu großen Schuhen, wie es uns eines ihrer ersten Plakate zeigte.
Dort konnte man eine Luise Kinseher erleben, die mit der Form kämpfte.
Ich lernte damals den Theatermenschen Luise kennen und schätzen.
Sie hat es sich und ihrem Publikum nicht immer leicht gemacht.
Sie hat auf verschiedenen Ebenen erzählt,
Walter Sedlmayr auf Rainer Werner Fassbinder sich treffen lassen.
Sie hat die Hölle geöffnet und die Ratlosigkeit.
Da hätte sie bereits den Preis verdient.
Als sie noch nicht unübersehbar und so unendlich vieles zu entdecken war.
Ich jedenfalls empfand es als Geschenk wieder jemanden in unserer Kabarettfamilie zu haben, mit dem man anstelle über Quoten, Besucherzahlen und Familienplanung wieder über Struktur, Form und Inhalte reden konnte.

Es ist nämlich nicht so, daß unser Kabarettgenre überreich gesegnet ist mit Kollegen, die über den halben Meter zur nächsten Pointe hinausdenken.
Luise Kinseher ist in der Lage kilometerweit zu denken.
So weit, daß ihr am Ende wohl oft selbst die Füße weh taten, wenn sie ihr Ziel wieder einmal erreicht hatte.
Das ist anstrengend.
Und dann hat man das Recht sich auch einmal eine Verschnaufpause zu geben.
Den Akku wieder aufladen.
Das Korsett mit der Manege vertauschen, die Figuren laufen lassen und das Publikum in den Arm nehmen.
Dem Affen Zucker und sich selbst ein Schuhbeck Gewürzemenue zu genehmigen.

Und nun bewegt sie sich in der Manege der großen Öffentlichkeit.
Sitzt Moderatoren gegenüber, die ihr nicht das Wasser reichen können.
Bleibt souverän.
Insistiert auf Inhalte.
Verleiht sogar dem Banalen Charme und Glanz und entlarvt es dadurch.
Auch das ist Kunst.

Also?!
Muß die Luise Kinseher das machen?
Oder macht sie es bloß?
Ist da was, was diesen Menschen antreibt, nicht losläßt bis an sein Lebensende.
Etwas Unverwechselbares.
Etwas Unauslöschbares.
Ein Defekt.
Diese Inkompatibilität mit dem Gewöhnlichen.


Meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich kann sie und vor allem mich in dieser Frage beruhigen.
Luise Kinseher ist nicht richtig im Kopf.
Luise Kinseher hat diesen Defekt.
Und der wird sie weitertreiben.
Diese originäre Kraft wird uns noch vieles schenken, da bin ich mir sicher.
Wenn sich die formale Gestaltungsenergie ihrer ersten Phase wiedertrifft mit der Spielfulminanz der zweiten und der Öffentlichkeitssouveränität der dritten...dann Gnade uns Gott.
Was heißt Gnade.
Stolz wird er sein, der Herrgott.
Er wird, wenn er dann frustriert auf die restliche, mittlerweile völlig verblödete Schar von Fernsehhumoristen schaut, mit der ihm eigenen Schöpfereitelkeit nur sagen.
Schau her, de Luise.
Manchmoi bring i doch no wos zam.

Und deshalb.
Weil da eigentlich jemand trotz aller Unübersehbarkeit erst aufbricht, noch lange nicht am Ende ist, weil das Fragen und Fühlen, das Leben und das Gestaltenwollen in diesem Prachtweib nie enden wird und weil jede Ermutigung dazu uns immer wieder gut tut.
Deshalb hat es jetzt doch einen Sinn gemacht, eine Laudatio zu halten.

Liebe Luise, ich gratuliere dir....zu dir.

Vielen Dank.

(Foto: @DoSchu)

Freitag, 22. Oktober 2010

Agora (2): Mercedes Riederer - beharrlich inmitten all des Bling-Blings und Ballyhoos

Am Mittwoch wurde Mercedes Riederer, Chefredakteurin des BR-Hörfunks und früher langjährige Leiterin der Deutschen Journalistenschule, im Literaturhaus mit dem Publizistikpreis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. In ihrer Dankesrede beteuerte Riederer, daß sie trotz der Auszeichnung ihres „Lebenswerkes“ noch lange nicht ans Aufhören dächte. Wieso das eine gute Nachricht ist, läßt Dagmar Reims hinreißende Laudatio ahnen. Reim, eine ehemalige Kollegin Riederers zu Christoph Lindenmeyers „Zündfunk“-Zeiten und gute Freundin, ist inzwischen Intendantin des RBB:

Dies ist vielleicht eine etwas unübliche Laudatio, weil ich kurz, knapp und einprägsam begründen will, warum der Publizistikpreis der Landeshauptstadt München in diesem Jahr 2010 an die Falsche geht. Insofern ist es bedauerlich, dass Sie, sehr verehrter Herr Dr. Küppers bereits Tatsachen geschaffen haben.

3 Punkte sprechen nämlich gegen Ihre Entscheidung:

1. Mercedes Riederer kommt für diesen Preis nicht in Frage, weil sie kein berstendes Ego ist. Die hier zahlreich versammelten Journalisten können bezeugen: Wer in unserer Branche nicht permanent die Ego-Bongo-Trommel rührt, geht unter. Wer wie Mercedes leise, aber beharrlich, seinen Weg geht, der kann gar nicht ankommen. Vier von mir zu Mercedes befragte Berufs- und Zeitgenossen gaben ihr unabhängig voneinander das Prädikat „uneitel“. Das geht gar nich’.

2. Mercedes Riederer ist eine ungeeignete Preisträgerin, weil sie andere in unserem Beruf für wichtiger hält als sich selbst. Sie sucht und findet Talente im Komposthaufen der Medien, angelt nach Begabungen im Brachwasser der Branche und entlässt manch’ unscheinbaren Stichling später als stolzen Koi-Karpfen aus ihrer Obhut. Sie braucht keine Selbst-Illumination in einer Szene des Talmi-Glanzes, voller Bling-Bling und Ballyhoo.

3. Mercedes Riederer kommt für den Publizistikpreis der Landeshauptstadt nicht in Frage, weil sie sich der Hebammenkunst verschrieben hat, der Mäeutik, und auf beharrliche, sehr geduldige Weise anderen zu den herrlichsten Ergebnissen verhilft, von denen diese bis anhin nicht einmal wussten, dass sie sie würden zustande bringen können.

Drei schlagende Beweise gegen die Auszeichnung. Ihnen allen noch einen schönen Abend. Noch ein kleines P.S., biografisch, das ich der einladenden Landeshauptstadt schulde, in die mich heute 578,31 Kilometer Weges führten.

Mercedes Riederer, unsere Preisträgerin, beschloss mit 14, Journalistin zu werden. Die Familie, konservativer, aber toleranter bayerischer Adel, fand das schräg, gleichwohl akzeptabel. Das Kind machte ein Praktikum beim Rottaler Anzeiger, einer allseits gefürchteten Journalisten-Talentschmiede und brillierte sowohl mit Reportagen über das Ende der Freibadsaison als auch über die Preisverleihung eines Lego-Bau-Wettbewerbs durch Inge Meisel. Weitere Praktika führten zum Sender Freies Berlin und zur Berliner Morgenpost. Dort flötete niemand: „Willkommen im Traumberuf!“ sondern Mercedes fand sich als Stellvertreterin des Stellvertreters des Zooberichterstatters im Lokalteil wieder. (Rolf Hochhuth hat einem anderen Stellvertreter ein literarisches Denkmal gesetzt, die Stellvertreterin des Stellvertreters bei Panda, Gorilla & Co, ist bis heute unbesungen.)

Da lief es als freie Mitarbeiterin im Jugendfunk des Bayerischen Rundfunks dann schon erheblich besser, wo man Mercedes die unter allen Freien verhassten Umfragen mit dem Mikrofon zutraute – vorzugsweise unter der weiblichen Landjugend. Als Mercedes Riederer 1978 eine feste Stelle bekam, warnte sie der Personalchef des BR: „Das ist Ihnen schon klar, dass sie so gut wie keine Entwicklungsmöglichkeiten haben. Nach dem Jugendfunk geht nur noch der Familienfunk oder der Kinderfunk.“ Mercedes wechselte alsbald in den Zeitfunk, den Oberpersonaler Lügen strafend, obwohl dort – wegen der vielen, vielen jungen Frauen hier im Saal muss ich es sagen – die Überzeugung herrschte, Frauenstimmen, zumal hellere, seien nicht seriös genug für die Vermittlung aktueller politischer Inhalte. Auch daran hat Mercedes sich nicht weiter gestört. Sie hat’s einfach gemacht.

1985 verließ sie den BR und fand ihre Passion in der Ausbildung. Hunderte von Journalistenschülern hat sie in der Deutschen Journalistenschule den steinigen, schwierigen, kurvenreichen Weg in unseren schönen Beruf geebnet. Sie hatte und hat einen unbestechlichen Blick dafür, wer was können könnte, wer mit wem ein tolles Team bilden, und wer als Solist seine Pirouetten drehen sollte. Noch nie hatte vor Mercedes eine Frau die ruhmreiche Deutsche Journalistenschule geleitet. Sie hat in schweren Zeiten das Ansehen der Institution gemehrt, Gelder beschafft, die Schüler geliebt.

2001 saß ein gewisser Thomas Gruber, Intendant des Bayerischen Rundfunks, mit zwei Männern (Namen auf Anfrage) auf seinem Balkon im Chiemgau, und es kam ihm die Idee, Mercedes Riederer zurückzuholen zum BR. Als Chefredakteurin. Muss ich sagen, selbstverständlich als erste Chefredakteurin in der damals dreiundfünfzigjährigen Geschichte des BR? Muss ich nicht. Muss ich sagen: Zur sehr gedämpften Freude mancher männlicher BR-Kollegen? Muss ich nicht. Jedenfalls beschreibt Thomas Gruber Mercedes als nachhaltig sanftmütig im Auftreten und sanftmütig nachhaltig im Handeln. Wer sich durch ihre großen Augen und deren so sanften Blick täuschen lässt und vermutet, dahinter könne sich weder Zähigkeit noch Durchsetzungskraft verbergen, der ist einfach selbst schuld. Mercedes beweist im nicht immer durchgängig intrigenfreien BR: Es geht ohne. Es geht ohne Intrige, ohne Über-Taktiererei, ohne politisches Kalkül, ohne kleinen Betrug und große Attitüde. Auch hier erkennt sie – wie an der Journalistenschule – Talente und fördert sie, bringt Menschen an die richtige Stelle, knüpft Netzwerke und scheut sich nicht, den ihr Anvertrauten auch unangenehme Botschaften zu übermitteln. Taktvoll, überaus diskret.

Und deswegen ist das, was uns heute zusammenführt, ein doppelter Anlass zum Feiern und zum Gratulieren. Und ein etwas längeres P.S. als es eigentlich werden sollte. „Wie kommen die denn ausgerechnet auf mich?“ hast Du, liebe Mercedes, gefragt, als Du von der Auszeichnung hörtest.
Schön, dass sie gerade auf dich gekommen sind. Gegen alle äußeren Anzeichen, gegen die ungeschriebenen Gesetze unserer Branche, haben sie die drei Thesen vom Anfang meiner kleinen Laudatio widerlegt. Herzlichen Glückwunsch, Landeshauptstadt, zu dieser Preisträgerin. Wir alle freuen uns mit Dir, liebe Mercedes!

(Foto: BR/Ralf Wilschewski)

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Usertracking der Landeshauptstadt München

Auf Anfrage des grünen Stadtrats Florian Roth hat die Landeshauptstadt München aufgeschlüsselt, wie in ihrem Internetauftritt und auf den Webseiten städtischer Unternehmen, Kliniken und Referate die Besucherströme gemessen werden. Anlaß für die Anfrage waren die datenschutzrechtlichen Probleme von Google Analytics, das die Stadtwerke München und der Tierpark Hellabrunn zeitweise eingesetzt haben und beim Olympiapark, dem Deutschen Theater, Volkstheater und der Pasinger Fabrik sowie Fachbereichen der Messe München immer noch in Gebrauch ist, wobei der Einsatz von diesen offenbar „als unproblematisch“ betrachtet wird.
Hier die Antworten der diversen Zuständigen. Zu den Städtischen Kammerspielen wird nichts gesagt, aber soweit ich den Quelltext richtig interpretiere, scheinen sie Google Analytics nicht zu nutzen.

Flughafen München GmbH (FMG)
Sowohl bei den Anwendungen im Internet als auch im Intranet der FMG werden Google Analytics bzw. entsprechende andere Programme nicht eingesetzt. Die IP-Adressen von Besuchern der Homepage der FMG werden nach Herkunftsland und besuchten Seiten statistisch ausgewertet und danach anonymisiert. Ein Rückschluss auf eine bestimmte oder bestimmbare Person durch Auslesen der IP-Adresse ist nicht mehr möglich. Damit sind auch nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten der FMG die datenschutzrechtlichen Anforderungen des Telemediengesetzes bei der FMG erfüllt.

Internationale Münchner Filmwochen GmbH
Die Internationale Münchner Filmwochen GmbH teilt mit, dass sie Google Analytics nicht einsetzt. Die Auswertung ihrer Website erfolgt nur intern unter Beachtung des Datenschutzes.

Gasteig München GmbH
Die Gasteig München GmbH betreibt die Website www.gasteig.de, die in ihrem gegenwärtigen Status seit Dezember 2009 live ist. Programmiert und gehostet ist der Auftritt von schalk&friends – agentur für neue medien gmbh, München. Sämtliche Daten des Internetauftritts liegen auf Servern von schalk&friends.
Das Verhalten der Nutzer(innen) von www.gasteig.de wird mit Urchin 6 analysiert. Hauptunterschied dieser Software zu Google Analytics ist, dass sämtliche gewonnenen Daten auf lokalen Servern (Servern von schalk&friends) gespeichert werden. Daher findet die Datenschutzvereinbarung mit schalk&friends auf diese Daten volle Anwendung.
Besucher/innen von www.gasteig.de bleiben grundsätzlich anonym. Gespeichert werden technische Daten, der Name des Internet-Service-Providers, die Webseite, von der aus der Nutzer kommt, und die Webseiten, die er/sie auf www.gasteig.de besucht. IP-Adressen werden nicht ausgewertet. Urchin 6 wertet die gespeicherten Informationen mit Datum und Zeitangaben für interne statistische Zwecke der Webseitenanalyse und zur bedarfsgerechten Gestaltung unserer Webseiten aus. Die Software verknüpft IP-Adressen nicht mit anderen erhobenen Daten und ermöglicht daher keine Personenbeziehbarkeit gespeicherter Daten. Pseudonyme Nutzungsprofile werden nicht erstellt.
Sämtliche personenbezogenen Daten, die im Kontext von Kontaktformularen, Newsletter-Bestellung, Weiterempfehlen der Seite und MyGasteig-Registrierung gespeichert werden, werden erst nach der Einwilligung des/der Nutzer/in zur Datenspeicherung gesichert.

Messe München GmbH (MMG)
Die IT der MMG unterstützt für alle Webauftritte der MMG das Tool Stat Key der Firma Key Tec, das auf allen Webseiten automatisch integriert ist. Das Hosting der Applikation findet in den Räumen der MMG statt und der Zugriff auf die Daten ist nur innerhalb der MMG gestattet. Die zur Verfügung stehenden Tools bieten keine Möglichkeit, Rückschlüsse auf einzelne Personen zu ziehen. Neben diesem System wurden in den letzten Jahren auch andere Tools auf den Webseiten integriert. Diese werden von der IT nicht supportet und die Verantwortung für diese obliegen den Fachbereichen. Dazu zählen unter anderem Google Analytics, etracker und auch Eloqua. Es ist derzeit nicht bekannt, welche Systeme im Detail auf welchen Webauftritten genutzt werden. Diese Systeme werden ausnahmslos außerhalb des Einflussbereichs der MMG gehostet.

MGH Münchner Gewerbehof- und Technologiezentrumsgesellschaft mbH
Google Analytics wird von der MGH nicht verwendet. Bei den Webseiten der MGH werden die Daten (IP-Nr.) der Besucher in so genannten „www- log-files“ gespeichert. Diese Daten sind anonymisiert und liegen als GZIP- Dateien (komprimierte Dateien) auf einem nicht öffentlich zugänglichen Verzeichnis in dem Account.

München Ticket GmbH
Die München Ticket GmbH verfolgt aktuelle Urteile und Rechtssprechung sowie die kritische Diskussion zu diesem Thema sehr aufmerksam. Den Einsatz von Diensten von Unternehmen, die nicht den europäischen Datenschutzstandards entsprechen, bewertet die München Ticket GmbH als kritisch. Insofern begrüßt sie den Beschluss des Düsseldorfer Kreises vom 28./29. April 2010, der schärfere Kontrollpflichten für Daten exportierende Unternehmen vorsieht.
Gleiches gilt im übrigen für die Einbindung von Adserver Diensten.
Für Spezialfunktionen auf ihren Seiten nutzt die München Ticket GmbH die Dienste Google Maps und Youtube. Auch diesen Einsatz sieht sie aus Datenschutzaspekten nicht unkritisch und wird versuchen in diesem Bereich noch Verbesserungen vorzunehmen.
Bei www.muenchenticket.de wird Google Analytics nicht verwendet. www.muenchenticket.de nutzt zur Auswertung der Benutzerstatistiken ausschließlich eigene Recheninfrastruktur, eine Weitergabe der Benutzerdaten an Dritte findet nicht statt.
Mitarbeiter und Partnerunternehmen, die mit personenbezogenen Daten in Kontakt kommen, sind informiert und zur Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet. Bestehende Verfahren sind bezüglich Datenschutzrelevanz überprüft. Bei Änderung oder Neueinführung von Verfahren werden relevante Aspekte im Datenschutz überprüft und berücksichtigt.

Münchener Tierpark Hellabrunn AG
Die Münchener Tierpark Hellabrunn AG hat bis ca. Mai 2010 Google Analytics verwendet. Seit der Umgestaltung ihrer Homepage verwendet die Münchener Tierpark Hellabrunn AG auf Rat von München Portal Google Analytics jedoch nicht mehr. Stattdessen wird momentan das Programm etracker in einer dreiwöchigen Testphase getestet und danach wahrscheinlich auch weiterhin eingesetzt. Aus der Datenschutzerklärung von etracker geht folgendes hervor: „Bei der Speicherung der Besucherdaten werden insbesondere auch die IP-Adressen und Domaindaten der Besucher nur verkürzt gespeichert, so dass ein Rückschluss auf den einzelnen Besucher nicht möglich ist. Etracker verpflichtet sich, etwaige erhobene IP- Adressen niemals mit anderen Datenbeständen zusammenzuführen, z.B. um einen Personenbezug herzustellen.“

Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV GmbH)
Bei der MVV GmbH kommt das Programm Google Analytics nicht zum Einsatz. Auf der Webseite werden anonymisierte Daten der Besucher aus Optimierungs- und Marketinggründen mit Hilfe des Tracking-Systems „netUpdater® LIVE“ von der Open New Media GmbH erfasst und gespeichert. Hierzu können Cookies zum Einsatz kommen. Die ermittelten Daten werden zur Erstellung von Nutzungsprofilen unter Pseudonymen genutzt. Die Daten werden nicht dazu benutzt, die Besucher der Website persönlich zu identifizieren. Es findet keinerlei Verknüpfung der Daten mit dem Träger des Pseudonyms statt.
Technisch gesehen wird Folgendes erfasst: Referrer (ggf. genutzte Suchmaschine und Suchbegriffe), Browser (Produkt und Version), Betriebssystem, Provider, Farbtiefe, Auflösung, Javascriptversion, Cookieeinstellung, Browserspracheinstellung, Land, besuchte Seiten, Zeitpunkt und Dauer, Anzahl der Besuche sowie IP und Hostname. In der Datenbank erscheinen IP und Hostname nur in der gekürzten Form (123.123.*.* / *.domain.de). Zudem wird – nachdem der Besucher aktiv einen Widerspruch einlegt – ein Cookie auf dem Client-Rechner installiert, das die Messung verhindert. Das Wertungsscript ist damit nicht mehr aktiv, es werden dann keine Daten mehr gespeichert. Die Speicherungen erfolgen für jeweils einen Monat.

Olympiapark München GmbH
Die Olympiapark München GmbH verwendet in Zusammenhang mit ihrem B2B- und impark-Auftritt das Programm Google Analytics. Auf der Hauptseite www.olympiapark.de, die um ein Vielfaches mehr an Usern generiert als die anderen beiden Seiten zusammen, bedient sich die Olympiapark München GmbH des Typo3-Systems.

GWG München
Die GWG München setzt für den Betrieb des Internetservers den Apache HTTP Server ein. Der Web-Server ist bei M-Net in Betrieb und zeichnet Ereignisprotokolle, die für den Betrieb des Servers notwendig sind, auf. Zur Aufbereitung der Ereignisprotokolle wird die Software „Webalizer Version 2.01“ eingesetzt. Die Ereignisprotokolle werden von den berechtigten Mitarbeitern der GWG gesichtet, um Probleme und Fehler auf der Homepage zu erkennen. Personenbezogene Auswertungen oder Weitergabe der Ereignisprotokolle an Dritte zur Auswertung werden nicht durchgeführt.

GEWOFAG
Die GEWOFAG verwendet Google Analytics nicht. Für die Internetseite der GEWOFAG, www.gewofag.de, gibt es ein eigenes Tool zur Auswertung der Häufigkeit der Seitenaufrufe, das für die GEWOFAG programmiert wurde. Dies Tool kann nicht auswerten, wer von wo auf die Internet- seite kommt, sondern nur, welche Seite wie häufig aufgerufen wird. Dies dient der Verbesserung des Informationsangebots auf der GEWOFAG-Website.

Baureferat
Im Benehmen mit der Münchner Stadtentwässerung (MSE) teilt das Baureferat mit, dass im Baureferat und bei der MSE die Software Google Analytics oder vergleichbare Programme keine Anwendung finden.

Sozialreferat
Die Münchenstift GmbH verwendet nach eigener Aussage Google Analytics nicht.

Kommunalreferat
Das Kommunalreferat ist das Betreuungsreferat für die Deutsches Theater Grund- und Hausbesitz GmbH (DTGH). Das in der Stadtratsanfrage angesprochene Problem stellt sich hier nicht, da die DTGH keinen eigenen Internetauftritt hat. Die Inhalte der Gesellschaft werden über die Internetseiten des Kommunalreferats dargestellt.

Referat für Gesundheit und Umwelt
Das RGU hat für seinen Betreuungsbereich, insbesondere für das städtische Klinikum München, mitgeteilt, dass die Software Google Analytics nicht eingesetzt wird. Die Städtische Klinikum München GmbH hat damals bewusst diese durchaus attraktiven Analysemöglichkeiten von Google nicht gewählt, da zum einen nach Auffassung des damaligen Partners des Klinikums, aber auch nach eigener Recherche, aus datenschutzrechtlicher Sicht Bedenken bestanden. Daraufhin entschied sich das Klinikum zur Webanalyse für die OpenSource-Lösung „PiWik“.

Kreisverwaltungsreferat
Die Website www.parkundride.de wird extern betrieben und verwaltet. Insofern sei intern nur ein eingeschränkter Zugriff auf die Inhalte und Steuerungselemente möglich. Die Park & Ride GmbH habe nur die Möglichkeit, die Zugriffshäufigkeit auf bestimmte Inhalte der Website in Erfahrung zu bringen. Die Einsichtnahme und Speicherung von IP-Adressen sei intern nicht möglich.
Nach Rücksprache mit dem IT-Manager des Internetdienstleisters sei in Erfahrung gebracht worden, dass für die Internetseite www.parkundride.de die OpenSource-Lösung Webalizer verwendet werde. Diese Software könne aus den Verkehrsdaten des Internetservers Reports bezüglich der von den Nutzern angefragten Inhalte erstellen. Alle verwendeten Daten seien auf dem Internetserver erfasst und würden hier verarbeitet; eine Übermittlung an Dritte erfolge nicht. Auch würden keine Daten Dritter (beispielsweise DNS-Auflösung, Verknüpfung mit Nutzerkonten o. ä.) zur Erstellung des Reports herangezogen. Rohdaten des Internetservers werden laut Aussage der Park & Ride GmbH nach Ende des Betrachtungszeitraums automatisch gelöscht.

Kulturreferat
Die Münchner Volkshochschule GmbH verwendet das Programm Google Analytics nicht. Die Pasinger Fabrik Kultur-und Bürgerzentrum GmbH sowie die Deutsche Theater München-Betriebs-GmbH setzen Google Analytics ein und sehen die Nutzung als unproblematisch an.
Die Münchner Volkstheater GmbH verwendet das Programm Google Analytics für ihre Homepage. Der unter www.datenschutzbeauftragter-online.de/datenschutz-google-analytics-erfuellt-zentrale-forderung-der-datenschutz-aufsichtsbehoerden/ geforderte Text wird im Impressum der Internetseite der Münchner Volkstheater GmbH veröffentlicht.

Freitag, 27. März 2009

Münchner Volkstheater: Betrug am kleinen Mann?

14,11 Euro sieht der Regalsatz für Hartz-IV-Empfänger monatlich für den öffentlichen Nahverkehr vor, 6,31 Euro gelten bei den Bedarfspositionen der EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) für Freizeitvergnügungen wie das Schwimmbad oder den Theaterbesuch als angemessen. Nicht gerade viel Geld, weshalb Hilfsbedürftigen in unserer Stadt ein München-Paß zusteht, mit dem Sie neuerdings ab dem 1. April ein MVV-Sozialticket, die IsarCard S, erhalten, und schon immer verbilligten Eintritt in den Freibädern genießen oder aber auch ermäßigten Eintritt im Münchner Volkstheater. Theoretisch zumindest.
Praktisch sieht das leider etwas anders aus. 8,50 Euro kostet im Münchner Volkstheater das ermäßigte Billet Studenten, Schüler, Wehr- und Zivildienstleistende und eben Inhaber des München-Passes im Vorverkauf, sechs Euro an der Abendkasse. Die Probe auf Exempel gefällig?
Online wird eine ermäßigte Karte zu 8,50 Euro bestellt und ausdrücklich auf den München-Paß verwiesen. Ungefragt wird dem Besteller eine Karte der teuersten Kategorie (28 Euro) reserviert und statt der vorschriftsmäßigen 8,50 Euro werden ihm 25,20 Euro in Rechnung gestellt, also nur eine Ermäßigung von 10 Prozent gewährt (Auftragsnummer 744184, Reservierungsnummer 189974569).
Zweiter Fall: An der Abendkasse wird wiederum unter Vorlage des München-Passes eine ermäßigte Karte gewünscht, die vor Vorstellungsbeginn 6 Euro kosten würde. Erneut werden die vorgesehene „klassische Ermäßigung“ verweigert und stattdessen nur 20 Prozent auf den vollen Kartenpreis gewährt, also zwischen 9,60 und 22,40 Euro verlangt.
Am Resi oder in den Kammerspielen würde das einen weniger wundern, aber ausgerechnet Christian Stückls Radikalbrigade, die so gern gegen Glamour und die Münchner Schickeria wettert und die Hauszeitschrift anbiedernd „Volksmund“ nennt, zeigt sich hier völlig inkompetent und unsozial.
Das schriftlich angefragte Volkstheater wollte sich bisher nicht dazu äußern. Wahrscheinlich ist man zu sehr mit der Bundespräsidentenwahl beschäftigt...

Updates: Im Juli 2009 schlägt Brigitte Wolf, Stadträtin der Linken, vor, wie in Berlin auch in München ein Drei-Euro-Ticket für Empfänger von Sozialleistungen einzuführen. Als das Kulturreferat kontert, es gäbe bereits ein „breites Spektrum an Ermäßigungen“, ändert sie ihren Antrag und empfiehlt, freie Sitzplätze an der Abendkasse Hartz-IV-Empfängern für drei Euro anzubieten. Der Stadtrat lehnt ab. Franz Kotteder von der „Süddeutschen Zeitung“ bedauert das Votum: „Dumme Sache halt, wenn eine an sich gute Idee von der falschen Seite kommt“.
Auf Vermittlung Brigitte Wolfs hat das Volkstheater denn auch sofort die oben geschilderten Vorkommnisse untersucht und sich dafür entschuldigt: eine Kassenaushilfe, die den München-Paß mit der M-Card verwechselt hätte, sowie die hektische Vorbereitungszeit des Radikal-Jung-Festivals hätten zu diesen „Unannehmlichkeiten“ geführt.

Donnerstag, 21. August 2008

A walk on the wild side

Man mag es gar nicht glauben, wenn man heute die halbwüchsigen Komatrinker, jetzt.de-Schnösel und schlecht frisierten FC-Bayern-Spieler zwischen Kunstpark Ost und Sonnenstraße sieht, aber es gab einmal ein Münchner Nachtleben, das diesen Namen verdiente. Mit gestandenen Männern wie Wolfi Kornemann, Salvatore und Charles Schumann als Türsteher, den Stones als Dauergästen, Clubs, in denen die deutsche Musik und Politik geprägt wurden und die deshalb zurecht in den Gesellschaftseiten und Feuilletons vorkamen, eine nächtliche Welt, in der auch mal ein Wirt mafiamäßig in einem kalten See endete. Der zusehends auf die halbgare Zubereitung Münchner Mythen abonnierte Blumenbar-Verlag widmet nun legendären Lusttempeln wie dem Big Apple, Blow Up, Sugar Shack, Charly M, Damage, Why not, P1, Tiffany oder Cosy den im November erscheinenden Bildband „Mjunik Disco“. Herausgeber: Mirko Hecktor. (Update: Book Release Party am 22. November im Pacha.) Und wie man so hört, eine Auftragsarbeit mit Unterstützung der Landeshauptstadt München (mit oder ohne Ausschreibung?).

Update: „Es ist richtig, dass das Kulturreferat die Veröffentlichung 'Mjunik Disco' im Blumenbar Verlag unterstützt. Im letzten Jahr stellte der Stadtrat (auch) dem Kulturreferat einen kleineren Etat für besondere Projekte zum 850. Stadtgeburtstag zur Verfügung. Damit wurden - auf Antrag - zahlreiche Projekte, zumeist Veranstaltungen, unterstützt, die als kultureller/künstlerischer Beitrag zum Stadtgeburtstag förderungswürdig waren.
Dazu gehörte auch das genannte Buchprojekt, mit dem sich der Blumenbar Verlag um Förderung beworben hat. Es erzählt die Münchner Stadtgeschichte des letzten halben Jahrhunderts als Geschichte der Clubs und des Nachtlebens und beleuchtet dabei die Rolle der Musikclubs und Discos für den interkulturellen/ internationalen künstlerischen Austausch.
Das Projekt hat uns - auch unter dem Aspekt 'Brücken bauen' (Motto des Stadtgeburtstags) - überzeugt. Aus dem Sonder-Etat für den Stadtgeburtstag haben wir einen Beitrag zu den Autorenhonoraren in Höhe von 3000.- Euro bewilligt.
Es handelt sich also weder um eine Auftragsarbeit noch um einen Druckkostenzuschuss, noch um die Übernahme einer Teilauflage.“

Sonntag, 18. Mai 2008

Abschied von Jürgen Kolbe

Wie die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer morgigen Ausgabe meldet, ist Münchens ehemaliger Kulturreferent Jürgen Kolbe letzten Donnerstag im Alter von 67 Jahren gestorben. 1976 trat er in München sein Amt an, es war die Zeit des Theaterfestivals und der Alabamahalle, von Beuys und Celibidache. Es war die Hoch-Zeit lokaler Kulturpolitik, als auch Hermann Glaser in Nürnberg und Hilmar Hoffmann in Frankfurt Literatur und Künste förderten. Und es war vor allem eine andere Ära im Umgang mit der Öffentlichkeit. Als Jürgen Kolbe einen Schlaganfall erlitt, es muß Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, hielten es sämtliche Redaktionen unter Verschluß. Der Kulturreferent verschwand einfach für ein paar Wochen von der Bildfläche, erholte sich, ohne daß irgendeine Zeitung oder Nachrichtensendung die Krankheit erwähnt hätte. In den Insiderzirkeln war es kein Geheimnis, jeder wußte von dem Krankheitsfall, nur das Volk durfte nichts erfahren. Sogar die politischen Gegner schwiegen. Und selbst heute, im Nachruf der „SZ“ kein Wort dazu. Bei einem aktuellen Politiker wäre das undenkbar, zumindest ein Blogger würde das Geheimnis ausplaudern, und das halte ich durchaus für einen Fortschritt.

Updates: Nachruf im Berliner „Tagesspiegel“ online. Der in der „Abendzeitung“ von Dienstag dagegen ebenso wenig wie der aus der „Süddeutschen“ von Montag.
Traueranzeigen der Stadt München und der Familie.